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Buchtipp: Row Zero. Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie

Meri Disoski • Juli 18, 2024

Daniel Drepper und Lena Kampf beschreiben das von Männern für Männer gemachte „System Musikindustrie“ und legen offen, wie das Macht- und Geldgefälle zwischen Künstlern und Fans in Kombination mit Profitgier den Boden für sexualisierte Gewalt aufbereiten. 

Gestern und heute spielt die Band Rammstein in Kärnten im ausverkauften Wörthersee Stadion. Erst im Vorjahr haben dutzende Frauen unabhängig voneinander schwerwiegende Vorwürfe gegen Frontsänger Till Lindemann erhoben. Sie erklärten eidesstattlich, dass sie systematisch rekrutiert worden seien, um nach Rammstein-Konzerten Sex mit Lindemann zu haben. Die Betroffenen sagten aus, dass Alkohol- und Drogeneinfluss dabei eine Rolle gespielt haben und es zu gewalttätigen Übergriffen durch Lindemann gekommen sein soll.

 

Nach den Rammstein-Veröffentlichungen haben die Journalist:innen Daniel Drepper und Lena Kampf mehrere Monate lang recherchiert und mit mehr als 200 Menschen aus der Musikindustrie gesprochen. In ihrem Buch zeigen sie, wie über Jahrzehnte hinweg der Mythos „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ im Zusammenspiel mit dem Macht- und auch Geldgefälle zwischen Künstlern und Fans den Boden für sexualisierte Gewalt aufbereitet hat. Sie beschreiben Machtmissbrauch in der Musikszene und sezieren jene Strukturen, die ihn aus finanzieller Abhängigkeit und Profitgier jahrelang verharmlosen und decken. 


Machtgefälle & #metoo


Dafür begeben sie sich auf eine historische Spurensuche, die sie bis in die späten 1960er-Jahre führt: Jugendliche rebellieren gegen die Prüderie der Nachkriegsjahre, gegen die rigide Sexualmoral und verkrustete Geschlechterrollen. Der Rock’n’Roll ist der Soundtrack ihrer Protestkultur, in seinem Windschatten entsteht das „Groupietum“. Schon damals nähern sich manche (junge) Frauen Stars mit klarer Intention an und sagen retrospektiv, dass sie „immer genau das gemacht (haben), was sie wollte(n) und mit wem sie wollte(n)“. Andere hingegen hatten „Sex mit Rockstars und sagen rückblickend, dass es nicht wirklich einvernehmlich“ war. Sie schildern, wie ihre Idole das bestehende Machtgefälle missbraucht und ganz klar Grenzen überschritten haben. Das ist auch heute noch so. Doch hat die #metoo-Bewegung dazu geführt, dass „der schmale Grat zwischen sexueller Selbstbestimmung und Machtmissbrauch auch in der Musikwelt neu vermessen“ wird. Mit dem steigenden Bewusstsein für Übergriffe und sexualisierte Gewalt geht auch eine zunehmende Problematisierung der frauenfeindlichen Backstage-Kultur einher. 


„Pussy-Pässe“ und „Fickbänder”


Im Backstage-Bereich gelten die Regeln der Stars. Sie entscheiden, nach welchen Kriterien und zu welchen Konditionen Fans Zutritt erhalten. Schon darin offenbart sich das bestehende Machtgefälle zwischen Stars und Fans. Junge Frauen werden oft ganz gezielt für Backstage-Partys angesprochen, die Backstage-Bänder werden auch „Pussy-Pässe“, „Fickbänder“ oder „Gangbang-Bändchen“ genannt. Crew-Mitglieder oder Management-Mitarbeiter:innen übernehmen das sogenannte „Girlscouting“. Der Rapper Bushido schreibt in seiner Autobiografie, wie er kurz vor Ende eines Konzerts auf seine Kopfhörer gesagt bekommt: „Du, ich habe was für dich. Rosa, gestern 18 geworden, kein Problem, ich habe den Ausweis gesehen. Sie ist bildhübsch und zu allem bereit.“ Von einer Backstage-Party des Rappers Luciano ist dieser Satz überliefert: „Erst wird noch ordentlich gefickt, und dann schmeißen wir die Fotzen aus dem Backstage.“

 

Hier wird das Teilnehmen an einer Backstage-Party gleichgesetzt mit der Zustimmung zu Sex. Es entsteht der Glaube, dass für die Musiker „ein Anspruch auf Sex mit Fans“ bestünde. Und das ist hochproblematisch. Wo endet Einvernehmen? Wo tragen Stars Verantwortung für ihre Fans, wenn es ihnen schwierig ist, „Nein“ zu ihrem Idol zu sagen? Wer sorgt dafür, „dass es in dieser Dynamik nicht zu Übergriffen und Missbrauch kommt“? Drepper und Kampf suchen Antworten bei Branchen-Insider:innen. Und finden sie: Freundschaftliche Beziehungen, die sich während einer langjährigen Zusammenarbeit etablieren können, und vor allem finanzielle Abhängigkeiten zwischen Stars, deren Crew, deren Management und Plattenfirmen haben ein Wegschauen lange begünstigt. 


Sexismus, Drugs and Rock’n‘Roll


Mit dem Erstarken von Social Media brechen immer mehr Frauen ihr Schweigen, nutzen ihre Kanäle und die damit einhergehende Reichweite und erzählen mutig ihre Geschichte. So wird immer sichtbarer, dass sich hinter „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ ein von Männern für Männer kreierter Mythos verbirgt, der zutreffender mit „Sexismus, Drugs and Rock’n’Roll“ beschrieben wäre.
 
Wie Künstler, Bands und auch deren Fans reagieren, wenn sie öffentlich mit Vorwürfen sexualisierter Gewalt konfrontiert werden, ist sehr unterschiedlich. Wurden solche Vorwürfe in der Vergangenheit oft einfach ignoriert, ist in den letzten Jahren ein regelrechter Kampf der Deutungshoheit entflammt. So haben Rammstein und Till Lindemann teure Anwaltskanzleien eingeschalten, um Aussagen verbieten zu lassen, und versucht, Frauen mit Klagsdrohungen zu
silencen – also zum Schweigen zu bringen. Einmal mehr offenbart sich auch hier das starke Ungleichgewicht von Macht und Geld, das die Beziehung zwischen Stars und Fans kennzeichnet. All das schadet dem Erfolg der Band nicht, sondern kurbelt diesen ganz im Gegenteil nur noch weiter an – wie das ausverkaufte Wörthersee Stadion beweist. 


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ÖVP-Frauenministerin Raab traf heute Expert:innen, um mit ihnen an einer „österreichischen Leitkultur“ zu arbeiten. Wieso lud die Frauenministerin dabei ausgerechnet eine Abtreibungsgegnerin zur Mitarbeit ein? Während in Frankreich das Recht auf Abtreibung auf Initiative der Grünen Senatorin Mélanie vor kurzem in der Verfassung verankert wurde, lädt Susanne Raab mit Katharina Pabel eine prononcierte Abtreibungsgegnerin in eine Arbeitsgruppe ein. Pabel ist Teil des Herausgeber-Beirats der „Zeitschrift für Lebensrecht“. Nomen est omen. WHerausgegeben wird die Zeitschrift von der konservativen deutschen „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ (JVL). Die JVL ist Teil der Bundesvereinigung Lebensrecht (BVL) und gehört in Deutschland damit zu den Organisator:innen der Anti-Abtreibungs-Demo „Marsch für das Leben“. Den kennen wir wiederum auch aus Österreich. Die hiesige Anti-Abtreibungs-Szene marschiert dabei einmal im Jahr durch die Wiener Innenstadt, ÖVP-Nationalratsabgeordnete wie Gudrun Kugler oder Norbert Sieber marschierten in der Vergangenheit mit. Im Beirat der „Zeitschrift für Lebensrecht“ tummeln sich neben Katharina Pabel weitere Persönlichkeiten, die christlich-fundamentalistische Positionen vertreten: Schwangerschaftsabbrüche und Scheidungen werden abgelehnt, LGBTIQ-Feindlichkeit offen zur Schau gestellt, Umpolungstherapien zur Heilung von Homosexuellen angepriesen. Eines der bekannteren Beiratsmitglieder ist die berüchtigte deutsche Homo-Heilerin Christl. R. Vonholdt. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin lehnt Homosexualität als „sündhaft“ ab, ist gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare und warnt vor der gleichgeschlechtlichen Ehe. Zeige mir deine Freunde und ich sag‘ dir wer du bist! Politische Kampfzone Frauenkörper Seit Jahren beobachten wir europa- und auch weltweit: Rechtspopulismus und Antifeminismus gehen Hand in Hand. Rechte und Konservative haben den Körper von Frauen und unser Recht, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, zur politischen Kampfzone erklärt. Ihre frauenverachtenden Diskussionen drehen sich um die Frage, ob Frauen der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gänzlich verboten oder zumindest radikal erschwert werden soll. So werden z.B. in Ungarn ungewollt Schwangere schikaniert. 2022 dekretierte Orbáns Innenminister per Ministerialverordnung, dass ungewollt Schwangere vor einer Abtreibung die Herztöne des Embryos anhören müssen. Schon 2020 führte die rechtskonservative PiS in Polen ein rigoroses Abtreibungsverbot ein. Weltweit setzte eine Welle der Solidarität mit den polnischen Frauen ein. Auch in Wien, wo sich auf meine Initiative hin auf dem Platz der Menschenrechte rund zweitausend Menschen versammelten, um gegen diese frauenverachtende und letzten Endes auch Frauenleben gefährdende Politik zu demonstrieren. Unterstützt wurden die Proteste von uns GRÜNEN, der SPÖ und NEOS – die ÖVP und die FPÖ fehlten genauso, wie klare Worte von Frauenministerin Raab.
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