MERI DISOSKI
Vergangenen Sommer erklärte uns die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner medienwirksam, für wie irrelevant sie das Thema „Gendern“ halte. Gleichzeitig setzte die von ihr angeführte ÖVP-FPÖ-Landesregierung ein „Genderverbot“ für niederösterreichische Landesbehörden als eines ihrer ersten gemeinsamen Regierungsprojekte um. Während ÖVP-Chef Nehammer im Vorjahr noch verlautbarte, seiner Meinung nach würde die Gender-Debatte den Blick auf die echten Probleme der Menschen verstellen, befeuert er sie im Superwahljahr höchstpersönlich und springt auf den Kulturkampf-Zug der Rechten auf. In seinem „Österreich-Plan“ wettert er wörtlich gegen den „Gender-Missbrauch“ und setzt damit ein Thema, das eigentlich keines ist.
Bekanntermaßen will die ÖVP bei den heuer stattfindenden Nationalratswahlen gezielt die Gunst von FPÖ-Wähler:innen für sich gewinnen. Unter ihnen ist die Ablehnung für geschlechterinklusives Formulieren besonders ausgeprägt. Nicht zufällig sind Plattheiten wie „Gender-Wahn“ oder „Anti-Genderismus“ in den letzten Jahren zu zentralen Kampfvokabel und antifeministischen Chiffren der Rechten geworden, die die ÖVP immer öfter übernimmt und damit salonfähig macht. Das bestätigt ein Blick in die aktuellen Tageszeitungen, so gut wie jedes Blatt widmet sich dem wieder entflammten Kulturkampf um Doppelpunkte, Unterstriche und Großbuchstaben. Nehammers „Krieg gegen Sternchen“ schaffte es sogar in die ZiB 2 – und damit in die wichtigste Nachrichtensendung des Landes. In den sozialen Medien diskutieren Befürworter:innen und Gegner:innen des Genderns, oftmals leider auf unterirdischem Niveau, wieso sie geschlechterinklusive Sprache vehement befürworten oder kompromisslos ablehnen.
Ich stimme mit der Vorarlberger ÖVP-Landesrätin Martina Rüscher überein, die in die Diskussion einstieg. Via Facebook richtete sie ihrem Parteichef aus, sie halte seine populistische Scheindebatte über Gender-Verbote für maximal irrelevant und empfahl ihm, er möge sich um frauenpolitisch wichtigere Themen kümmern. Auch ich finde: Statt sich vor Doppelpunkten, Großbuchstaben und Sternchen zu fürchten, sollte Karl Nehammer seine Energien darauf verwenden, Rahmenbedingungen für eine gerechtere, chancengleiche und selbstbestimmtere Zukunft unserer Töchter, Nichten und Enkelinnen zu schaffen. Denn Fakt ist: Mädchen und Frauen sind auch im Jahr 2024 immer noch vielfältig benachteiligt.
Reden wir also darüber, wie wir bis 2030 einen österreichweiten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung realisieren können. Denn einen solchen braucht es, damit Frauen das Ausmaß ihrer bezahlten Erwerbstätigkeit selbst bestimmen und nicht von den Öffnungszeiten des Kindergartens abhängig machen müssen. Lösen wir endlich das Problem der geschlechtsbedingten Gehaltsdiskriminierung, die mit knapp 17% in Österreich deutlich über dem EU-Schnitt liegt und Frauen über die gesamte Dauer ihres Berufslebens gerechnet Hundertausende Euro kostet. Schaffen wir endlich österreichweit die bestmögliche Gesundheitsversorgung für Frauen, zu der selbstverständlich auch ein niederschwelliger Zugang zu legalen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen gehört. Denken wir über die Wertigkeit von Arbeit nach, hinterfragen wir, wieso Branchen mit hohem Frauenanteil schlecht(er) bezahlt werde – und ändern wir das endlich.
Als Frauensprecherin der Grünen hat die Lösung dieser für mich höchste Priorität. Als studierte Sprachwissenschaftlerin kann ich nur die Stirn runzeln und den Kopf schütteln, wenn der ÖVP-Chef Menschen ihr Recht auf sprachliche Sichtbarkeit absprechen möchte. Und mit hell leuchtenden Nebelgranaten um sich wirft, statt pressierende Probleme zu lösen.
In gekürzter Version als Kommentar erschienen in der Kleinen Zeitung vom 28. Jänner 2024
Fotocredits: Screenshot Facebook-Seite Martina Rüscher